Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen
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Predigt über 1. Korinther 1,26-31 Erster Sonntag nach Epiphanias (9. Januar 2000) Vikar Martin Jensen Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Röm 8,14 Predigttext: 1. Kor 1,26-31 Seht auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, und viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nicht ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht (Jer 9,22f): Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn! Liebe Gemeinde, stellen Sie sich vor, Sie bekommen Besuch. Ein Besuch, auf den Sie sich schon lange gefreut haben. Und nun steht er Ihnen endlich gegenüber. Der lang erwartete Gast. Vielleicht ist es eine alte Schulfreundin, oder ein Brieffreund aus Süddeutschland oder der im Ausland lebende Sohn. Egal, der ersehnte Gast steht vor Ihnen und begrüßt Sie. Aufmerksam schaut er sich um. Alles in der Wohnung ist tip top in Ordnung. Die Modellschiffe auf der Anrichte zeugen von handwerklichem Geschick. Das schöne Geschirr hinter Glastüren von gutem Geschmack, die Blumen auf der Fensterbank von Lebensfreude und die Bücher im Regal von Bildung. Jedes Detail hat seinen Ort und kaum etwas ist zufällig zu sehen. Sie sind sich sicher, daß diese Einrichtung Ihren Gast beeindrucken wird. Doch mit einem Mal erstarrt Ihr Blick. Ganz ungefragt öffnet Ihr Gast alle Schranktüren im Wohnzimmer und guckt neugierig hinein. In der Küche führt ihn sein erster Gang zum Mülleimer, den er öffnet und inspiziert. Und zu guter letzt geht ihr Gast sogar noch ins Schlafzimmer, guckt unter das Bett und durchsucht sämtliche Schränke. Können Sie sich das noch vorstellen? Der erwartete Gast entpuppt sich als unhöflicher Schnüffler, der keinen Respekt vor Ihrer Privatsphäre hat. Nicht das, was Sie so schön arrangiert haben, interessiert ihn, sondern das Verborgene, Verschlossene: die zerbrochene Vase, die ihre Mutter noch gekauft hat; die ungelesenen philosophischen Bücher, die Ihnen geschenkt wurden; die Reste der letzten Mahlzeit im Mülleimer. Und vielleicht ein Beate-Uhse- Katalog im Wäscheschrank. Nichts ist vor den Augen des Gastes sicher. Er findet alles. Er ist wie ein Dieb in der Nacht. Eine Katastrophe. Sie hören schon die Vorurteile klingen: Dummheit, Schwäche, erbärmlich. Jede Faser Ihres Lebens liegt aufgeblättert vor dem Gast. Kein Geheimnis ist vor ihm zu verbergen. Keine Fasade hält. Was töricht ist vor der Welt, hat Gott erwählt, damit er die Klugen zuschanden mache. Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist. Und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nicht ist, damit er zunichte mache, was etwas ist. Das ist alles geschehen, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Ihr Gast hält die Bibel in der Hand, der 1. Korintherbrief ist aufgeschlagen, unser Predigttext. Der Eindringling zitiert einen Text, in dem sich Paulus, der Missionar der Urkirche, in literarischer Hochform zeigt. Liebe Gemeinde. Der neugierige Gast hält uns dies biblische Wort vor: Was töricht ist vor der Welt, was schwach ist vor der Welt, was gering und verachtet ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Ist Gott etwa der neugierige Gast in Ihrer Wohnung, der Gast in unserem Leben? Ich glaube, daß Gott hinter unsere Fasade sehen kann. Er läßt sich nicht beeindrucken von Erfolgen im Beruf, großer Bildung oder einträchtigem Familienleben. Gott will nicht den Hochglanz-Menschen sehen, den Selfmademan der neuen Zeit. Warum sollte Gott auch beeindruckt sein von dem, was wir leisten? Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde, des ganzen Universums. Er haucht uns den Lebensatem ein. Er schenkt uns Herz und Versand. Jede Gabe, die wir erfolgreich entfalten, kommt von ihm. Ohne ihn ist kein Leben möglich. Gott allein ist zu rühmen. Trotzdem spricht Paulus wie selbstverständlich von der Erwählung des Törichten, des Schwachen und des Geringen durch Gott. Gott wählt nicht das Hohe, Gelungene, sondern das Tiefe, Zerbrochene. Es ist seine freie Wahl, seine Entscheidung. Gott interessiert sich brennend für unsere Schwächen. Ist es denn so selbstverständlich, die eigenen Schwächen und dunklen Seiten offen zu zeigen? Es ist doch eine Unverschämtheit, wenn ein Gast plötzlich anfängt, in Schränke und Mülleimer zu gucken. Ich vermute, Sie würden so einen Menschen schnell hinauswerfen oder ihm gehörig ihre Meinung sagen. Dieser Gast würde so bald nicht mehr eingeladen. Schließlich ist die Privatsphäre tabu. Es ist die Angst vor allzugroßer Nähe und der daraus resultierenden Verletzlichkeit, die uns vorsichtig sein läßt. Gott nun, so sagt es Paulus, hat gerade meine Schwäche erwählt. Sie ist ihm wichtig. Also wird er auch wissen wollen, worin sie besteht. Gott muß uns ganz nahe kommen, distanzlos nahe, unangenehm nahe, um unsere Schwäche zu erkennen. Er muß uns auf die Pelle rücken, um zu hören, worunter unser Herz leidet. Eine kurzer Dialog zwischen Gott und einem Arbeitslosen, den ich kürzlich fand, zeigt das Herumdrucksen des von Gott angegangenen Menschen. Hans: Nein, und das würde mir auch keine Probleme bereiten. Karl hat mir das übrigens schon mehrmals angeboten, und wenn ich will, kann ich da jederzeit zugreifen. Gott: Ja? Hans: Oh, ja. Gott: Hans, was erzählst du mir wieder für einen Mist. Das ist doch alles gar nicht wahr. Wie soll ich dir denn glauben, wenn du mir immer solchen Käse erzählst? Der Karl hat dir gar nichts angeboten, und deine Kasse geht auch langsam zur Neige. Was soll das alles? Hans: Ich wollte dich nicht enttäuschen. Gott: Aber du enttäuscht mich doch nicht damit. Du enttäuscht mich mit deiner Schwafelei. Als ob ich irgendein Depp wäre, dem man das alles nicht zumuten könnte. Hans: Es tut mir leid. Ich wollte das nicht so. Ich hatte nur Angst, dir die Wahrheit zu sagen. Gott: Ist schon gut. Was also ist los? Hans: Es geht mir nicht gut. Gott: Aha. Endlich eine positive Antwort. Da können wir etwas draus machen. Ein Dialog mit kräftigen Worten. Gott redet mit einem Arbeitslosen. Nein er ringt förmlich mit ihm. Gott will, daß dieser Mensch endlich die Wahrheit sagt über seine Gefühle. Dabei ist es doch ganz menschlich, die eigene Situation zu beschönigen, um nicht ins Bodenlose zu fallen. Ich glaube nicht, daß es vom Besitzstand abhängig ist, wie offen wir mit Gott umgehen. Ob es nun ein Arbeitsloser ist oder ein Bankdirektor, Klugheit, Ehrbarkeit und Stärke helfen nicht, wenn es darum geht, Gott zu sagen: Es geht mir nicht gut. Ein Bekenntnis, das nach Scham und Angst klingt. Vielleicht ist auch etwas Trotz dabei. Wenn Gott es denn unbedingt wissen will, dann sag ich es eben ohne Umschweife. Es geht mir nicht gut. Zu ertragen ist dieser drängende, distanzlose Gott eigentlich nur, wenn wir die Absicht Gottes auf uns wirken lassen. Das Ziel der Neugier Gottes, die Schwäche und Torheit des einzelnen Menschen zu erkennen, wird in dieser Geschichte mit den Worten umrissen: Da können wir etwas draus machen. Ist das nicht toll? Gott sieht den Schwachpunkt dieses Menschen vor sich und sagt: Da können wir etwas draus machen. Worte, die Zuversicht ausstrahlen, die den beschämten Menschen hochblicken lassen. Mit einem Mal ist ein Stern im Dunkel der Sorgen zu sehen. Gott scheint einen Ausweg zu sehen. Ich blicke Gott wieder ins Angesicht. Hoffnung wird geweckt: Ich habe Gott meine Schwäche gezeigt. Gott sieht eine Möglichkeit. Er ist nicht am Ende mit mir. Gott wird mir helfen. Ich kann heil werden. Paulus drückt diese Hoffnung auf Heilung so aus: Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heilung und zur Erlösung. Das Ziel der Distanzlosigkeit Gottes ist die Heilung des Menschen. Eindrücklich ist diese Neugier Gottes in biblischen Heilungsgeschichten dargelegt. Jesus ging vor allem zu den Schwachen und Ausgestoßenen seiner Zeit. Er heilte viele Menschen, ob nun krank an Körper oder Seele. In manchen Geschichten fragt Jesus den zu heilenden Menschen nach seinem Anliegen: Was willst du, daß ich für dich tun soll? Dies erscheint z.B. beim blinden Bartimäus merkwürdig, da Jesus doch vermuten könnte, daß er wieder sehen will. Doch der Mensch soll selbst zu erkennen geben, worin er Heilung bedarf. Was willst du mit Gott gemeinsam erreichen? Das scheint Jesus zu fragen. Und Bartimäus gibt Antwort: Rabbuni, daß ich sehend werde. Eine klare Antwort. Das Ziel des Heilungsprozesses ist bestimmt. Die Heilung kann beginnen. So hoffnungsvoll die Zusage der Heilung ist, so unangenehm kann es sein, Gott klar die eigene Bedürftigkeit zu zeigen. Bevor ich Gott um Hilfe bitte, komme ich um eine ehrliche Bestandsaufnahme nicht herum. Ich selbst sollte ein stückweit unters Bett, in die Schränke und den Mülleimer sehen. Ich kann herausfinden, was mir fehlt, woran ich kranke. Dann bin ich bereit, Gott meine Not zu benennen, flüsternd oder schreiend, aber eindeutig. Und ich kann durch Jesus Christus gewiß sein, daß seine Reaktion sein wird: Da können wir etwas draus machen. Es ist unsere Freiheit, uns zum Heilungsangebot Gottes zu verhalten. Es kann Lebenssituationen geben, in denen ich mich Gott gegenüber nicht öffnen kann. Doch das Angebot bleibt, solange wir in diesem Leben zwischen Freude und Leid hin und hergerissen sind. Gott will unsere verborgenen Wunden heilen, sich um unsere dunklen Seiten kümmern. Das ist die Zusage, die wir durch das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi haben. Jesus ist durch die Tiefe menschlichen Lebens gegangen, damit wir nicht in der Tiefe sitzen bleiben. Amen
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