Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen


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17. September 2000 - 13. Sonntag nach Trinitatis - Markus 3,31-35
Vikarin Susanne Jensen

Liebe Gemeinde!
Jetzt zur Besinnung kommen,
ruhig durchatmen und gute positive Impulse aufnehmen. 
Das wäre schön.

Schließlich liegt eine anstrengende Woche hinter uns.
Der eine hatte Streß an der Arbeitsstelle mit dem Chef 
oder den Kollegen,
der andere zu Hause mit dem Partner, den Kindern, 
oder gar der Schwiegermutter.
Viele belastende Gedanken gehen uns durch den Kopf.
Nun kann die Stärkung durch das befreiende 
und frohmachend Evangelium beginnen.

Liebe Gemeinde, leider muß ich sie enttäuschen.
Der Predigttext aus dem Markusevangelium 
ist eine Provokation, hören Sie selbst: 
Und es kamen Jesu Mutter und seine Brüder
und standen draußen, schickten zu Jesus und ließen ihn rufen.
Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm:
Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern
draußen fragen nach dir.
Und Jesus antwortete ihnen und sprach:
Wer ist meine Mutter und meine Brüder?
Und er sah ringsum auf die, 
die um ihn im Kreise saßen, und sprach:
Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder
und meine Schwester und meine Mutter.

Das ist eine Powerszene, die uns voll hineinnimmt in einen
quasi-göttlichen Familienkonflikt.
Schließlich ist ja kein Geringerer 
als Jesus Christus der Hauptakteur.
Von Markus wird uns berichtet, wie Jesus durchs Land zieht,
wie er predigt, Kranke heilt und böse Geister austreibt.
Von Ort zu Ort, mit jedem Auftreten, wird er dadurch bekannter, 
die Menschen folgen ihm.
Sie folgen ihrem Rabbi Jesus, 
diesem charismatischen Wanderprediger mit besonderem Anspruch. 

Sie folgen ihm in ein Haus, das in einem Fischerort 
am See Genezareth liegt.
Dort hören sie alle aufmerksam zu, hängen an seinen Lippen,
denn Rabbi Jesus gibt ihnen Lebensweisung.
Ein schöner Kreis, eine gute Verkündigungssituation.

Hätte Jesus Buch geführt über seine Auftritte, 
hätte er sicher diesen Job als erfolgreich vermerkt. 
Während er im Haus am Wirken ist, 
braut sich draußen ein Familiendonnerwetter zusammen.
Angeführt von Mutter Maria nähert sich der familiäre Suchtrupp.

Nein, 
sie wollen nicht mit ihm diskutieren, 
sie wollen ihm auch nicht nur guten Tag sagen 
und neue Wäsche bringen, oder Proviant.
Geschweige denn, daß sie an seinen Lippen hängen.

Mutter Maria und Anhang sind anders drauf: 
Sie wollen ihn aus dem Verkehr ziehen, vor sich selbst beschützen.
Denn: „Er muß verrückt geworden sein!“  
Alles, was man von ihm hört, klingt verrückt. 
Er legt sich mit Schriftgelehrten und Priestern an, 
heilt am Sabbat, streitet dann mit den Autoritäten in Synagogen. 
Seine Eskapaden sind schrecklich, beängstigend.
Vor lauter Unverständnis über das Treiben ihres Jungen 
schüttelt Mutter Maria immer wieder ihren Kopf. 
„Woher hat der Junge das nur?“

Das Haus, angefüllt mit begeisterten Zuhörern, bietet Jesus Schutz.
Die Seinen bleiben draußen stehen 
und schicken einen jungen Burschen hinein. 
Er soll Jesus ausrichten, daß seine Mutter draußen wartet 
und daß er sofort rauskommen soll. 

Ein guter Junge käme raus, gehorchte seiner Mutter, 
denn in den Geboten heißt es: du sollst deinen Vater 
und deine Mutter ehren, auf daß es dir wohlergehe!  
Doch Rabbi Jesus scheint gerade dieses Gebot 
in dieser konkreten Situation nicht anzuwenden.- Ein starkes Stück.

Er bleibt sitzen, schluckt ein wenig, überlegt, 
„Was werden jetzt meine Zuhörer von mir erwarten?,  
daß ich natürlich dem Ruf meiner Mutter folge leiste.“ 
Doch Jesus denkt nicht dran, dazu ist er viel zu clever.

Bedeutungsvoll blickt er um sich, 
schaut in die fragenden Gesichter und hebt an: 
„Wer ist meine Mutter und meine Brüder?“
Man hätte eine Nadel fallen lassen können, 
Dramaturgie auf die Spitze getrieben, 
mit einem beschwörenden Tonfall spricht er weiter:
„Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder 
und meine Schwester und meine Mutter.“ 

Einfach genial, 
wie Jesus seinen Kopf aus der Schlinge zieht,
indem der sein Verhalten gegen Mutter 
und Geschwister mit  der Verkündigung  vom Willen Gottes verknüpfen kann. 
Er bringt eine positive Botschaft rüber, 
schafft ein Wir-Gefühl und muß sich nicht ausliefern, 
um sein Gesicht zu wahren.
*
Und nun kommst Du, Mutter Maria!
Was sagst Du zu den Worten deines Sohnes, 
wie empfindest Du sie?
Das frage ich Dich, Maria.
Du bist sicher tief traurig.
Dein Sohn bricht Dir mit harten Worten das Herz. 
Das hast Du nicht verdient, wo Du ihn doch so lieb hast.
Er benimmt sich zu Dir grob, ruppig und lieblos.
Richtig undankbar ist das,
Du wolltest doch immer nur das Beste für ihn.

Ist es möglich die Geschichte zu hören,
ohne der einen oder anderen Person beizupflichten? 
Nein, ganz sicher nicht!
Bewußt oder unbewußt nimmt jeder von uns 
irgendwo in dieser Szene Platz, entweder 
draußen bei der Mutter und den Geschwistern oder drinnen bei Jesus.

Wir hören Worte, Stimmen. 
Und diese Stimmen klingen in unserem Inneren schräg, 
als falsche und richtige Töne durcheinander.
Jesus hat Worte des Lebens zu geben. 
Seine Worte tragen den Willen Gottes, geben Lebensweisung. 
Seine Worte klingen aber auch hart, konfrontativ bis anstößig.

Bei meinen Überlegungen zur Predigt 
habe ich mich immer wieder umgesetzt, 
habe versucht mich in die Haut von Jesus oder Maria zu versetzen. 
Ganz nah kam mir Maria, - als Frau eben -
ihre Haut war mir sympathischer als die des Jesus.  
Doch letztlich wollte ich auch nicht in ihrer Haut 
und ihrer Traurigkeit und Empörung stecken bleiben, 
und habe mir dann die Sitzplätze um Jesus herum angeschaut. 
Wie sitzt es sich um Jesus? 

Bequem, warm, mit Kuschelatmosphäre?
Na ja, die Worte Jesu sind zwar gute Lebensweisung, 
fordern mich aber doch heraus. 
„Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder 
... meine Schwester.“ 
Die Worte treffen mich in meiner christlichen Existenz.
Sie klingen in meinen Ohren, wie ein Weckruf.
Denn Jesus will ja, daß die Umsitzenden nicht sitzen bleiben, 
sondern die Türen aufmachen und rauskommen aus dem Haus - 
aus dem Innenbereich. - Das gilt auch uns.

Christliche Existenz braucht frische Luft, 
Reibungsfläche - ab und an eine 
lebendige und ehrliche Auseinandersetzung.
*
Ein Außenbereich ist zum Beispiel die Familie.
Ich denke an Konflikte mit heranwachsenden Jugendlichen.
Die können einen ganz schön auf Trab halten.
Vom Konfirmanden-Alter bis zum Berufseinstieg 
müssen sicher viele Eltern des öfteren die Luft anhalten, 
so kurz vorm Familiendonnerwetter - so wie Mutter Maria.
Die Kid´s haben ihre eigene Musik, 
ihre eigene Sprache und Umgangsformen.  
Sie sind anders, flippiger - verspielter.

Oft stecken Jugendliche in einem 
schwierigen Abnablungsprozeß von ihren Eltern. 
Sie versuchen eigene Wege zu gehen, 
ihren ganz eigenen „Way of Life“ zu entwickeln. 
Dieser kann so bunt sein, wie ihre Haare 
und so auffallend wie ihre geliebten Platooschuhe. 
Für diese Buntheit brauchen sie Freiräume.

Sie brauchen aber auch Orientierung und gute Leitfiguren.
Denn wie leicht sind Jugendliche zu begeistern 
von falschen Freunden, von schrägen Typen, 
die sie nur ausnutzen und gebrauchen wollen.

Konkret denke ich an rechtsradikale Gewaltgruppierungen, 
wie Skinheads, Hooligans, oder Rechtsparteien, 
deren Namen jeder von uns kennt.

Menschenskinder, !!!
wie schrecklich ist es, wenn junge Menschen 
in solche Fänge geraten und mitlaufen. 
Kein Tag vergeht, an dem nicht von Gewalttaten 
Jugendlicher berichtet wird.
Da heißt es gerade im Radio, während ich schreibe: 
„Hooligans jagten Schwarzafrikaner 
durch die Innenstadt von Münster.“

Junge Anhänger identifizieren sich mit diesen 
vermeintlich starken, gewalttätigen Gruppenführern, 
sie wollen auch so cool, so überlegen sein.

Da muß es Menschen geben, die sie direkt ansprechen;
die wollen, daß sie aus diesem braunen Sumpf 
wieder herauskommen:       Steigt aus!!!
Ändert eure Richtung, ihr seid auf dem falschen Dampfer!
Ihr vergeudet eure Lebensenergieen und Chancen.
Echt cool seid ihr, wenn ihr Schluß macht mit dieser 
menschenverachtenden Gewalt. 
Wenn ihr euch davon abwendet und wieder eure Freiheit sucht, 
die ihr von Gott geschenkt bekommen habt.
Gewalt gegen Schwächere ist in dieser kalten 
Ellenbogengesellschaft eine große Verführung, 
! - erliegt ihr nicht - !

Da muß es Menschen geben, die uns als Kirche direkt ansprechen:
Ihr habt doch den Weckruf Jesu gehört: 
Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester ... 
Seid wach! - Schaut mit offenen Augen auf eure Jugend. 
Sie sind verletzliche, leicht beeinflußbare Menschenkinder. 
Schenkt ihnen mehr Aufmerksamkeit. 
Überschüttet sie nicht mit materiellen Gütern, 
Statussymbolen, guten Marken, sondern schenkt 
ihnen Zeit und Gesprächsbereitschaft.

Und die Kid´s, die schon abgerutscht sind, 
zu Tätern geworden ???,
laßt sie uns nicht einfach abschreiben!!!
Sie brauchen Menschen, die ihnen helfen zu erkennen,
worin sie sich verrannt haben, die ihnen helfen auszusteigen.
Schwer ist es für sie mit ihren begangenen Taten zu leben:
den gebrochenen Träumen 
und ihrem verkorksten Leben.

Angewidert betrachtet, wie abartige Fremdlinge,
werden sie sonst ins totale Aus gedrängt, 
vielleicht sogar in die totale Verzweiflung.
Dann ersticken sie in der Kälte ihrer Schuld,
dem Scherbenhaufen ihres jungen Lebens.

Versuchen wir sie wiederzugewinnen 
wie Brüder und Schwestern das tun,
weil sie ja zu uns gehören, ein Teil von uns sind.
Dabei gewinnen die Kid´s und wir selbst.

Was gewinnen wir denn dabei?
Ein gutes Gefühl? - Bestätigung,
gewinnen wir zukünftige Kirchensteuerzahler?
Nein - wir gewinnen eine menschenwürdige Gesellschaft,
die ihrer sozialen Verantwortung gerecht wird.
AMEN

Ideen und Mails an: webmaster@comtheo.de