Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen


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27.Juni 1999 - 4.Sonntag nach Trinitatis - 
1.Mose 50,15-21
Susanne Jensen

Liebe Gemeinde!
Im Leben und im Sterben bin ich angewisen auf Gottes Güte.
Das weiß ich. 
Gottes weltumspannende Güte läßt mich atmen. 

So haben mich immer schon die Worte des 36.Psalms tief angerührt:
Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.

Unter dem Himmel, der so weit reicht, wie Gottes Güte,
bewegen sich alle Menschen.
Sie leben, freuen und lieben sich, -
streiten und verletzen sich.
Dies geschieht, weil Gott uns 
unter seinem Himmel, unter unserem Himmel,
die Freiheit gegeben hat.
Wir sind keine Marionetten an unsichtbaren Fäden, 
die der Schöpfergott von ganz oben lenkt.

Menschen werden aneinander schuldig,
nicht weil Gott das will, oder plant,
sondern weil wir uns  in unserer Freiheit
zu Gott und unseren Mitmenschen verhalten können.

Die Freiheit, die uns Gott geschenkt hat,
macht auch die Vergebung nötig.
Denn er läßt seine Sonne scheinen über Gute und Böse,
über Sünder und Gerechte - 

Einen Fall von Vergebung beschreibt der Predigttext.

Wir werden hineingenommen in eine großangelegte Familiengeschichte,
die Geschichte von Josef und seinen Brüdern.

Zurückgekommen von der Bestattung ihres geliebten Vaters, Jakob,
sind die zwölf Brüder auf sich gestellt. 
Zwölf Brüder - zwölf Hebräer, Kinder aus dem Geschlechte Abrahams.
Einer von ihnen hat eine herausragende Stellung:
Es ist Josef, der Stellvertreter des Pharao in Ägypten,
ein anerkannter und erfolgreicher Staatsmann.

Eine große Familie, die ihr Familienoberhaupt nach Tradition 
im Lande Kanaan begraben hat.
Mit dem Abraham, dem Isaak und dem Jakob, 
dem Vater der Zwölf Brüder, hatte Gott - ihr Gott - 
ein Freundschaftsverhältnis.

Elf Geschwister beraten sich,
und haben Angst vor ihrem Bruder, - dem Josef.

Ihre Angst hat eine Geschichte:
„Josef könnte uns gram sein und 
uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.“ 

Was diese Brüder ihrem Bruder Josef angetan haben,
liegt ihnen auf der Seele.
Mit Mordabsicht haben sie Josef in eine Grube ohne Wasser geworfen.
Die Grube sollte sein Grab sein, - doch sie waren sich nicht ganz einig.
Es kam zu einer Abänderung des Mordplanes: 
Wir können ihn auch anders los werden, 
wir verkaufen ihn in die Sklaverei.
Eine herannahende Karawane von Ismaelitern,
deren Weg nach Ägypten führte, brachte sie auf diesen sauberen Gedanken.

Wir brauchen uns die Finger nicht schmutzig machen,
und werden doch diesen gefährlichen und eingebildeten Naivling los.
In den Augen der Brüder war ihr Bruder ein Ärgernis.
Er war der vom Vater bevorzugte, der geliebte Sohn.
Wenn zwölf Geschwister da sind,
gibt es eben Unterschiede.
Das liegt in der Natur der Sache.
Keiner ist wie der andere,
und ihr Vater hat zu jedem eine persönliche Beziehung,
die sich in seinem Umgang mit ihnen unterschiedlich auswirkt.
Das ist des Vaters Freiheit, 
das kann aber auch des Vaters Schuld sein.
Er kann sich nämlich durch seine unterschiedliche Liebeszuwendung
an den weniger geliebten Kindern versündigen.
 
Vater Jakob hatte Josef  lieber als seine übrigen Söhne, 
er war anders - anders erzogen,  - anders geliebt?
Dies zeigte sich an Josefs Austattung und an seiner Art:
Josef war angetan mit buntem Rock und reizender Naivität.

Ich stell ihn mir jung und etwas schnöselig vor,
außerdem hatte er ein großes Mitteilungsbedürfnis:
Er quatschte seine Brüder auf dem Feld dumm von der Seite an
und erzählte ihnen ganz unsensibel von seinen Täumen:
Wir banden Garben auf dem Felde,
und meine Garbe richtete sich auf und stand,
aber eure Garben stellten sich rings umher 
und neigten sich vor meiner Garbe.
Und noch ein Traum:
Die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir.
Was waren das für Träume?  Was erzählt er da?
Wohl größenwahnsinnig!
Für einen Psychologen sicher eine interessante Frage.
Was verbirgt sich hinter Josefs Machtträumen?

Jedenfalls waren es Träume, 
die seine elf Brüder zur Sünde reizten.
Sie waren nicht mehr frei in ihrem Umgang mit diesem Einen.
Josef, wurde die Person, die sie zu beseitigen trachteten.

In die Sklaverei verkauft, 
mußte Josef einen beschwerlichen Weg gehen.
Auf und ab ging es mit ihm. 
Er wurde angefochten.
Gefängnisluft mußte er schnuppern.
Und geträumte Träume von anderen deuten.
Das Träumedeuten brachte ihm in Ägypten mehr Erfolg,
als seine geträumten Träume frank und frei in der Heimat auszuplaudern.
Die Träume waren göttliche Botschaften,
die Josef entschlüssen konnte.
Das war natürlich was. 
Er hatte damit eine Fähigkeit,
die ihn zum Stellvertreter des Pharao machte.

Habt acht, Josef lebt noch,
er ist nicht als Sklave irgendwo zugrunde gegangen - es war Gottes Wille!
Habt acht, Josef könnte vergelten, was ihr Brüder ihm angetan habt!
Und der Vater ist tot.

Die Gefühlswelt der schuldig gewordenen Brüder läßt sich erahnen.
Das Blatt hat sich gewendet,
nun ist ein anderer am Drücker.
Zurückzahlen - heimzahlen - vergelten, 
das ist doch normal. Oder?

Ihre Lebensversicherung war bis Dato Vater Jakob.
Sein Leben, seine bloße Exsistenz, garanierte ihnen, 
daß Josef sich nicht rächen würde.
Wenn einem seiner Kinder irgend ein Leid zugefügt wurde,
war Vater Jakob betroffen. 
Er machte zwar Unterschiede, liebte doch alle seine Söhne.
Dies drückte er aus, als es um Benjamin ging:
„Wenn ihm ein Unfall auf dem Weg begegnete,
würden meine grauen Haare mit Herzeleid
hinunter zu den Toten gebracht.“

Das war ihre Chance. 
Sie müssen sich auf den Vater berufen,
auf das, was der Vater dazu sagen würde.
Ja, des toten Vaters Wille sprechen sie aus:
„Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen:
Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde,
daß sie so übel an dir getan haben. ... Nun vergib doch uns,
den Dienern des Gottes deines Vaters.“
Starke Worte mit vermächtnishaftem Charakter. 
Worte mit Bußcharakter ...

Ich denke dabei an die Geschichte vom verlorenen Sohn:
Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir;
ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße.
Josefs Brüder formulieren einen ähnlichen Unterwerfungsgedanken:
Siehe, wir sind deine Knechte.

Die Vergebung wird von den Brüdern an die Vaterliebe gebunden:
Vergib doch den Dienern des Gottes deines Vaters.
Liebe der Eltern kann stark machen.
Mutterliebe, Vaterliebe pflanzen sich ins Herz,
verweilen dort, und bringen Neues hervor.
Schulter an Schulter lernen die Kinder von dieser Liebe.
Elternliebe und Vergebung unter unserm Himmel.

Josef reagiert.
Er zeigt Gefühl, - Josef weint.
Das paßt zu seiner Person, dem empfindsamen Traumempfänger.
Josef, der an Träume glaubt - weint.
Er ist der Mann, der weinen kann. 
Er weint und denkt an seinen Vater, an seine Brüder und sich selbst.
Sein Leben liegt vor ihm, 
es ist anders verlaufen, als er es sich´s hat träumen lassen.
Seine Erwartungen und geträumten Visionen hatten den Schmerz ausgespart;
Hatten nichts gewußt von neidischen Brüdern, 
die ihn in die Fremde verkaufen.

Josef hat die Gnade geschenkt bekommen,  vergeben zu können.
Vaterliebe und Gottesliebe überwinden ihn.
Er kann sich hinstellen und weinen.
Er wird frei - weinend zu vergeben.

Josef glaubt an die Vergebung, 
glaubt an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Josef glaubt und antwortet:
„Fürchtet euch nicht! -
Steh ich denn an Gottes Statt? 
Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen, ...“

An Vaters Stelle wird Gott nun euer Garant sein.
Er ist eure Lebens- und Sterbensversicherung.
Im Leben und im Sterben seid ihr geborgen in seiner Güte.
Aus dieser Liebe heraus könnt ihr ihm und dem Leben antworten.

Die Josefsgeschichte fasziniert,
auf Grund ihrer vielen Aspekte.
Die vielschichtigen Motivationen der handelnden Personen
zeigen deutlich, daß Lebensgeschichte nicht einfach zu deuten ist.

Menschen leben in Beziehungen:
Vater - Mutter - Geschwister - Onkel - Tante - 
Freund und Feind
Über die Personen und ihre Beziehungen zueinander
gibt es immer Geschichten zu erzählen.
Familiengeschichten, heitere Episoden - eben Dönskes,
was halt so im Leben passiert.
Und die Geschichten werden, je nach Anlaß,
mit einem weinenden und einem lachenden Auge weitererzählt.
Bestimmte Dinge werden ausgespart, andere ausgemalt. 
Gerade beim Lebensrückblick
kann auch Vergebung eine große Rolle spielen.

Im schlichen Gebet des Vaterunser heißt es:
Vergib uns unsere Schuld, 
wie auch wir unseren Schuldigern vergeben.
Mea maxima culpa - meine große Schuld, denke ich dabei oft.
Ich weiß, daß ich nicht leben kann ohne schuldig zu werden.
Ich weiß aber auch, daß ich nicht leben kann ohne Vergebung.

In der Güte Gottes fühle ich mich geborgen.
Aus diesem Gefühl heraus hoffe ich,
daß ich immer stärker werde, Lasten anderer zu tragen.
So wie es im Wochenspruch heißt:
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Darin mögen wir uns gegenseitig stärken:

Wir segnen unsere Schultern,
segnen, daß sie Lasten tragen können,
die uns aufgebürdet werden,
und die wir uns freiwillig aufgeladen haben.
Mögen die Lasten uns leicht sein.
Mögen wir Menschen finden,
die uns gelegentlich eine Last abnehmen 
und mittragen.
AMEN

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